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1929 - 1936

„Die Zeiten sind furchtbar ernst.“

 

Z Die Weimarer Republik wird von zahlreichen politischen Krisen geschüttelt, die oft Neuwahlen notwendig machen. 1929 führt die Weltwirtschaftskrise zu einer Verarmung weiter Kreise der Bevölkerung. Zahlreiche Menschen – auch aus der Mittelschicht – verlieren ihre Arbeit und ihre Ersparnisse. Der Staat kann die öffentlichen Ausgaben kaum noch finanzieren und setzt überall den Rotstift an.

„Die Zeiten sind furchtbar ernst. Mit größter Spannung sieht man dem Ergebnis der Reichstagswahlen entgegen.“ (Annalen der Schwestern Unserer Lieben Frau vom 12. Oktober 1931).

Die anhaltende Wirtschafts- und Staatskrise verhilft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), einer demokratiefeindlichen rechtsradikalen Partei, die eine brutale Rassenlehre vertritt, 1933 zum Durchbruch. Erklärtes Ziel der Machthaber ist, die gesamte deutsche Gesellschaft nach ihrer Ideologie gleichzuschalten und einen Krieg vorzubereiten.

C 1929–1930

Der Geburtenrückgang als Folge des Ersten Weltkrieges, veränderte Gesetze im Bereich von Jugendhilfe und Fürsorgeerziehung sowie der drastische Sparkurs des Staates führen dazu, dass immer weniger Kinder im Vinzenzwaisenhaus leben. Die Existenz des Hauses ist gefährdet.

C 1930

Im Vinzenzwaisenhaus wird – entsprechend der damaligen Pädagogik – eine eigene Abteilung für so genannte schwererziehbare Kinder eingerichtet. Weiterhin entsteht eine Abteilung für schulentlassene Mädchen, die keine Arbeitsstelle finden. 

C 1931

Im Vinzenzwaisenhaus beginnt ein Stellenabbau, Lehrkräfte werden entlassen. Der Direktor des Landesjugendamtes drängt darauf, Kinder möglichst schnell anderweitig unterzubringen, um Kosten zu sparen. Bisher hatte die Katholische Fürsorge GmbH genügend Zeit, Pflegefamilien und Arbeitsstellen für die Kinder zu finden. – Das Arbeitsamt richtet auf dem Gelände des Heimes Umschulungskurse für arbeitslose Jugendliche (ehemalige Fabrikarbeiterinnen) ein, die für die Arbeit in der Landwirtschaft – damals noch nicht technisiert und deshalb einer der größten Arbeitgeber – qualifiziert werden sollen.

C 1932

Ein zum Vinzenzwaisenhaus gehörender Kotten wird zum Ferienhaus für erholungsbedürftige Stadtkinder umfunktioniert.

C 1934

Die Wehrmacht plant, auf dem Areal des Vinzenzwaisenhauses einen Flugplatz zu bauen.

C 1935

Verantwortliche des Luftfahrtamtes in Berlin besichtigen die Räume des Vinzenzwaisenhauses und nehmen Vermessungen vor. Am 2. September erfahren Schwestern und Angestellte, dass das Vinzenzwaisenhaus wenige Tage zuvor zwangsveräußert wurde. Die Schwestern Unserer Lieben Frau werden bespitzelt. In der Zeitung erscheint ein Artikel über die „mangelhafte nationale Einstellung“ der Schwestern. Ab dem 30. Oktober müssen alle Kinder in andere Heime verlegt werden. Die Schwestern beginnen mit der Auflösung des Hauses.

C 1936

Am 13. Januar verlassen die letzten Schwestern und Angestellten das Vinzenzwaisenhaus.

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